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Dr. Matthias Zimmer (CDU/CSU):
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich bin der Kollegin Daniela Kolbe sehr dankbar, dass sie in ihrer ruhigen und sehr nachdenklichen Art auch die positiven Aspekte dieses Regelbedarfsermittlungsgesetzes einmal aufgeführt hat. Es ist, glaube ich, für keinen besonders vergnügungssteuerpflichtig, ein solches Gesetz erlassen zu müssen. Wir rechnen ja nicht selber als Politiker.

(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Doch! Doch, die Bundesregierung rechnet!)

Wir sind keine Statistiker. Aber wir machen Vorgaben über die Art und Weise, wie wir das gerne sehen wollen. Darum geht es.

Die erste und wichtigste Vorgabe ergibt sich aus dem Grundgesetz. Da ist von der Würde des Menschen die Rede und davon, dass wir daran gebunden sind, die Würde des Menschen zu achten und zu schützen.

(Zuruf von der LINKEN: Da hat er recht!)

Das Bundesverfassungsgericht hat hierzu gesagt: Die Würde des Menschen erfordert, dass wir ein soziokulturelles Existenzminimum definieren. - Das ist auch für uns von der Union verbindlich für die Frage, wie der Regelbedarf berechnet wird. Sagen wir es ganz deutlich: Dass den Menschen ein soziokulturelles Existenzminimum gewährt wird, ist nicht nur das Recht der Menschen, sondern es ist auch die Pflicht unserer Gemeinschaft. Das ist gelebte Solidarität und verpflichtet uns auch.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, in den vergangenen Jahren hat uns das Bundesverfassungsgericht immer wieder bestätigt: Die Art und Weise, wie wir das berechnen lassen, ist durchaus in Ordnung. - Die Kollegin Kolbe hat darauf auch hingewiesen. Nun sagt die Opposition, der Kollege Lehmann, die Kollegin Kipping: Das ist alles zu wenig. - Der Meinung kann man sein. Man kann auch großzügiger sein und mit anderen Annahmen arbeiten und Statistiker beauftragen, das dann einmal entsprechend durchzurechnen. Dann haben Sie ein etwas weiteres Verständnis von dem, was das Existenzminimum ausmacht. Auch das ist eine politische Vorgabe, mit der man zu anderen Zahlen kommt. Aber eines, Frau Kipping und Herr Lehmann, ist völlig klar: Unsere Vorstellung des notwendigen Minimums ist nicht verfassungswidrig oder gerade mal so mit der Verfassung vereinbar.

(Sven Lehmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das hat auch niemand behauptet!)
Unsere Vorstellung ist verfassungsgerecht.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, eine zweite Vorgabe, die wir machen, lautet: Wir wollen einen gewissen Abstand wahren, und zwar einen Abstand zwischen denjenigen, die Leistungen erhalten, und denen, die sie finanzieren müssen.

(Beifall der Abg. Franziska Gminder (AfD))

Wir wollen keine Anreize setzen, nicht zu arbeiten. Wir wollen nicht, dass diejenigen, die für wenig Geld arbeiten, den Eindruck haben: Wir sind diejenigen, die jeden Tag aufstehen und nur wenig mehr bekommen als Hartz IV; wir sind doch eigentlich Deppen. - Das wäre, glaube ich, schädlich für die Solidarität. Solidarität geht nämlich davon aus, dass ein System als gerecht empfunden wird. Ein System ist nicht gerecht, in dem jemand, der arbeitet, ebenso viel oder weniger erhält als jemand, der nicht arbeitet.

(Corinna Rüffer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Aber die arbeiten doch ganz vielfach! - Sven Lehmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): 1 Million Menschen arbeiten und sind trotzdem in Hartz IV!)
Nun sagen einige: Lasst uns doch die Löhne erhöhen,

(Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): Es gibt doch kein Lohnabstandsgebot mehr!)
durch mehr Möglichkeiten etwa, die Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen festzustellen, oder durch einen höheren Mindestlohn. Offen gesagt: Ich bin damit im Grunde einverstanden.

(Beifall der Abg. Gabriele Katzmarek (SPD) - Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja, dann machen wir es doch gemeinsam! Finde ich gut!)

Ich wünsche mir eine höhere Tarifbindung, und ich wünsche mir auch, dass wir die Möglichkeiten erweitern, Tarifverträge für allgemeinverbindlich zu erklären.

(Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Können wir alles machen!)

Dafür haben wir in vielen Bereichen auch gearbeitet. Ich denke etwa an die Pflege.

Vizepräsidentin Claudia Roth:
Herr Dr. Zimmer, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder -bemerkung von Matthias W. Birkwald?

Dr. Matthias Zimmer (CDU/CSU):
Da er diesmal keine Redezeit bekommen hat, gerne.

(Heiterkeit)

Matthias W. Birkwald (DIE LINKE):
Vielen Dank, Frau Präsidentin. Vielen Dank, lieber Kollege Matthias Zimmer, dass die Zwischenbemerkung zugelassen wird. - Zunächst einmal möchte ich festhalten: Nach geltendem Recht gibt es keine Konstellation, bei der jemand, der oder die alle rechtlich bestehenden Möglichkeiten wahrnimmt, in Erwerbsarbeit mit niedrigem Einkommen ist und ergänzende Sozialleistungen bekommt, weniger hat als jemand, der in Hartz IV ist. Das gibt es nicht. Das ist ein Märchen.

Zweitens. Ich habe gehört: Der Kollege Matthias Zimmer von der CDU/CSU ist für einen gesetzlichen Mindestlohn, der höher ist als der heutige.

(Uwe Schummer (CDU/CSU): Mit Tarifbindung!)

Das klingt wunderbar. Ich habe gehört: mehr Tarifautonomie und vor allen Dingen mehr Allgemeinverbindlichkeitserklärungen. Das alles sind Punkte, für die nicht nur Matthias Zimmer, sondern die Fraktion Die Linke, große Teile der SPD, große Teile der Grünen sind.

(Sven Lehmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Alle Grünen!)

Ich frage jetzt mal: Wie viele Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU-Fraktion sind dafür, dass wir das gemeinsam verabschieden? Den Vorschlag „12 Euro Mindestlohn“ hat Die Linke seit ihrem Bundesparteitag in Magdeburg im Jahr 2016 bereits vorliegen. Ich fordere Sie alle auf: Erhöhen Sie den Mindestlohn einmalig auf 12 Euro, damit die Mindestlohnkommission dann die weiteren Erhöhungen machen kann. Gehen Sie da mit?

(Beifall bei der LINKEN)

Dr. Matthias Zimmer (CDU/CSU):
Erst einmal danke, lieber Kollege Birkwald, für die Frage. Ich hätte diese Frage auch im Fortgang meiner Argumentation beantwortet. Jetzt kann ich sie beantworten, ohne dass es bei meiner Zeit zu Buche schlägt.

(Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): Gern geschehen! - Kai Whittaker (CDU/CSU): Das war abgesprochen!)
Insofern haben wir beide etwas von der Zwischenfrage.

Die Sache ist eigentlich relativ einfach. Ich habe gar nichts dagegen, dass der Mindestlohn auf 12 Euro erhöht wird. Es geht doch um das Verfahren. Das Verfahren, das wir verabredet haben, lautet: Wir sind diejenigen, die das, was die Tarifparteien in der Mindestlohnkommission vereinbart haben, umsetzen. Wir sind nicht diejenigen, die die politische Setzung machen. Ich glaube, dass es ein sehr gutes Verfahren ist; denn keiner kann garantieren, dass es nicht das letzte Mal gewesen ist, dass hier Kollegen aufstehen und sagen: Na ja, noch einmal werden wir den Mindestlohn erhöhen. - Dann kommt es zu einem weiteren Mal und vielleicht zu noch einem weiteren Mal. Dann sind wir im Geschäft, den Mindestlohn politisch festzulegen. Das wollten wir ganz bewusst nicht. Das haben wir abgelehnt. Aber das heißt doch nicht, dass wir den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern keinen höheren Mindestlohn gönnen und dass wir Ihnen nicht gute Tarifabschlüsse gönnen. Es ist doch selbstverständlich, dass wir das wollen. Es ist selbstverständlich, dass wir für gute Arbeit auch guten Lohn haben wollen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Claudia Roth:
Weiter in der Rede.

Dr. Matthias Zimmer (CDU/CSU):

Danke schön, Frau Präsidentin. - Meine Damen und Herren, dann gibt es auch noch die AfD. Ich weiß nicht, was sie in der Frage so genau will. Ich glaube, das wissen die Kolleginnen und Kollegen auch nicht. Ein Teil der AfD will mehr Sozialismus, mehr Umverteilung. Ein zweiter Teil will das auch, aber nur für Deutsche. Ein dritter Teil ist völlig anders unterwegs. Die befürworten jeden Abbau von Schutzrechten. Ich habe in einer anderen Anhörung vor einigen Tagen einen Sachverständigen gehört - der Mann hatte weder von der Sache Ahnung, noch war er verständig -, der unter dem Beifall der AfD sogar Kinderarbeit gerechtfertigt hat.

(Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): Was? Unglaublich!)

Und das Schlimme bei der AfD ist - ob mehr Sozialismus, mehr Sozialismus nur für Deutsche oder Kinderarbeit für alle -: Der Vorsitzende der Fraktion sitzt immer in der ersten Reihe und klatscht freundlich. Sie müssen sich schon entscheiden: Sind sie Gobineau-Deutscher, Strasser-Jünger oder darwinistisch inspirierter Manchester-Liberaler? Oder haben Sie einfach Ihren Kompass verloren und damit auch jeden Sinn für Unterschiede? Sind Sie einfach ein Meister Yoda des Unbestimmten?

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Nun, egal: Der Kollege Witt hat die Büchse der Pandora erwähnt. Die Büchse der Pandora hat bekanntlich auf ihrem Grund die Hoffnung. Über die Hoffnung, dass Sie alle bald in diesem Parlament nicht mehr vertreten sein werden, kann die Büchse der Pandora ruhig offen bleiben. Vielleicht werden sich eines Tages Historiker erbarmen und etwas über die Enthemmung des politischen Konservativismus schreiben, für die Sie ein gutes Beispiel sind.

(Zuruf des Abg. Volker Münz (AfD))

Sicherlich wird ein Historiker auch einmal über die Ermittlung der Regelbedarfssätze schreiben und feststellen: Das haben die in der Großen Koalition ganz gut gemacht.
Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD - Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): Das hättest du gerne!)

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