Eine „Schere im Kopf“ bedeutet nach allgemeinem Verständnis, dass Fakten nicht genannt werden, weil Nachteile befürchtet werden. Eine etwas andersartige Schere im Kopf erleben wir dieser Tage, wenn über die „Schere zwischen arm und reich“ debattiert wird. Da haben wir eine gerade für die Benachteiligten neue, und sogar erfreuliche Entwicklung zu verzeichnen: immer mehr Menschen konnten seit 2006 aus der Armut heraus kommen, vor allem natürlich dank einer Rekordentwicklung bei Wachstum und Beschäftigung, bundesweit und in der Region. Die regierungskritische Wochenzeitung DIE ZEIT formulierte ohne Schere im Kopf sehr klar: „Steigt der Anteil der Armen in Deutschland? Viele glauben das, und die SPD will im Wahlkampf damit punkten. Doch es stimmt nicht.“

Bei Armut denken viele an diejenigen, die wir sehen oder deren Nöte wir kennen, über die Runden zu kommen. Auch meine Eltern mussten sich für die Kinder „krumm legen“, mein Studium war ohne BAföG nicht möglich. Wenn aber amtlich über „armutsgefährdet“ gesprochen wird, dann kommt die EU ins Spiel: die EU hat festgelegt, dass amtlich als armutsgefährdet gilt, wer weniger als 60 Prozent des Durchschnitts verdient, je nach Familienstand.

Konkretes Beispiel: Alleinverdiener mit zwei Kindern gelten, je nach Studie, bei einem Einkommen bis zu 2.700 Euro netto oder 3.300 Euro brutto als armutsgefährdet. Diese kuriose EU-Methode führt unter anderem dazu, dass in Griechenland die Armut nach EU-Berechnung trotz der gewaltigen Einschnitte um nur ein Prozent zunahm. Das ist natürlich Unsinn: aber der Un-Sinn dieser Armutsstatistik nach EU liegt darin, dass es ihr nur um den Vergleich zum Durchschnitt geht.

Also: die Menschen sind dann weniger armutsgefährdet, wenn alle zugleich ärmer werden? Im armen Griechenland nicht ärmer, im reichen Deutschland aber doch? Ein Blick auf die Fakten, ohne Schere im Kopf: von 1999 bis 2004 (unter der rot-grünen Regierung) ist Armut gestiegen, seit 2005 nicht mehr, stellt ausgerechnet das gewerkschaftsnahe Deutsche Institut für Wirtschaft (DIW) in einer Auswertung diverser Studien fest.

Besser als EU-Umfragen, weil präziser, ist das Statistische Bundesamt. Dessen Statistik fragt nicht, sie zählt alle, die Hartz IV, Sozialhilfe oder vergleichbare Hilfen benötigen. Das Ergebnis ist eindeutig: seit 2006 ist diese, noch immer viel zu hohe, Zahl – gesunken, um 16 Prozent. Rund eine Million Menschen sind aus dieser Armutsfalle heraus.

Nun sagt die Schere im Kopf: „Das kann doch nicht sein, wenn doch die Armut steigt, wie überall zu lesen ist, und ich kenne doch selbst Fälle!“ Ernsthaft kann aber niemand den Einzelfall zum Maßstab für alle machen. Es braucht Übersicht über sämtliche Fälle. „Wohlstand für alle“ bleibt ein ehrliches Ziel kluger Politik. Das gelingt seit 2006 Gott sei Dank sehr erfolgreich, und für diese Statistik werden wir international bewundert und von manchen auch beneidet.

Wer also über Armut redet, muss sagen, was genau gemeint ist - und vor allem sagen, wie Armut effektiv bekämpft wird. Jeder Einzelfall ist heftig. Umso mehr kommt es darauf an, den Rahmen für eine wirklich Soziale Marktwirtschaft stabil zu sichern, um Arbeit zu sichern. So eröffnen wir für viele die Rückkehr in Beschäftigung, und haben messbar Rückgang von Armut bewirkt.

Verlässlichkeit für die Leistungsträger bleibt nötig, um mit deren Stärke den Schwächeren helfen zu können. Leistung muss sich aber auch lohnen, Fleiß muss sich auszahlen. In unserem Land ist der Mittelstand Motor und Fundament von Wohlstand und sozialer Sicherheit. Wer dem Mittelstand die Beinfreiheit nimmt, sich zu entwickeln, zu investieren, ihn mit Steuern und Abgaben abwürgt, der gefährdet Wachstum und Beschäftigung - und erhöht Armutsrisiko.

Bemerkenswert, dass diese Binsenweisheit von jemandem missachtet wird, der noch vor kurzem als Mann mit Beinfreiheit Politik für Wachstum und Beschäftigung wollte. Die Beinfreiheit wurde ersetzt durch Ideologie. Und Ideologie ist bekanntlich eine sehr große Schere im Kopf.

 

3.997 Z. inkl. LZ

 

BU:

Michael Brand analysiert wirksame Maßnahmen zur Bekämpfung von Armut.

Der Autor (39) gehört der CDU an und ist direkt gewählter Bundestagsabgeordneter aus Fulda

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