Der Mindestlohn soll künftig verhindern, dass der Wettbewerb über die Fähigkeit definiert wird, Löhne zu drücken. Wir erkennen damit an, dass der Arbeitsmarkt ein abgeleiteter Markt ist und anders behandelt werden muss als Märkte, die vollkommen vom Spiel von Angebot und Nachfrage geleitet werden.

Dr. Matthias Zimmer (CDU/CSU):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Jahre 1776, dem Jahr der Unabhängigkeitserklärung der USA, veröffentlichte der Schotte Adam Smith sein wohl bekanntestes Werk über den Wohlstand der Nationen. Es wurde zum wirtschaftspolitischen Grundmanifest einer ganzen Epoche. Smith begründete die politische Ökonomie, und er wurde zum Stammvater des wirtschaftlichen Liberalismus. Umso überraschender ist es, dass wir in diesem Buch auch eine Passage über den gerechten Lohn finden. Es sei der Lohn, der einem Arbeiter zustehe, um sich und seine Familie zu ernähren. Nein, überraschend war das eigentlich nicht; denn Smith war Moralphilosoph und sah die Wirtschaft in einer auf den Menschen bezogenen, dienenden Funktion. Nur so viel, Herr Kollege Ernst: Wer hat’s erfunden? Die Liberalen waren Ihnen da 230 Jahre voraus.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD - Klaus Ernst (DIE LINKE): Sie haben es nur nicht umgesetzt! Und was habt ihr gemacht?)

Meine Damen und Herren, etwas mehr als 100 Jahre später, im Jahre 1891, griff Papst Leo XIII. in der ersten Sozialenzyklika Rerum Novarumden Begriff des gerechten Lohns wieder auf. Er ist seither fester Bestandteil der katholischen Soziallehre. So nahe wie damals waren sich Liberalismus und katholische Soziallehre vermutlich nie wieder.

Wer dagegen heute den „Sinn“-Spruch eines gleichnamigen Münchener Ökonomen vernimmt, die Löhne müssten nur weit genug fallen, damit jeder Arbeit bekommt, vermisst schmerzlich jene normative Dimension, die einmal die Attraktivität des Liberalismus ausgemacht hat.

(Beifall der Abg. Daniela Kolbe (SPD))

Wir haben in der sozialen Marktwirtschaft viele Antworten auf die Frage des gerechten Lohns gegeben. Eine über lange Jahre gebräuchliche Antwort war: Die Lohnfindung überlassen wir den Sozialpartnern, also den Arbeitnehmern und den Arbeitgebern. Der Staat soll sich aus der Lohnfindung heraushalten, dann wird es gerecht. Das setzt aber starke Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften voraus, und diese Voraussetzung ‑ die Ministerin hat es erwähnt ‑ ist seit den 90er-Jahren zunehmend erodiert.

(Zurufe von der LINKEN: Genau! - Richtig!)

Wir haben dann gesagt: „Lasst uns nicht über den gerechten Lohn, sondern über Einkommen diskutieren“, und haben zu niedrige Löhne durch den Staat aufgestockt. Das war in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit durchaus eine breit akzeptierte Vorgehensweise. Wahr ist aber auch: Diese Aufstockung ist eben auch eine Subvention wirtschaftlicher Tätigkeit, und zwar in doppelter Weise; denn zum einen stockt der Staat nicht hinreichende Löhne auf, zum anderen muss er dann nach dem Arbeitsleben nicht auskömmliche Renten durch die Grundsicherung im Alter finanzieren. Ob das alles im Zeitalter eines Fachkräftemangels noch sinnvoll ist, mag man füglich bezweifeln.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie des Abg. Klaus Ernst (DIE LINKE))

Wir haben über viele Jahre ‑ recht erfolgreich, wie ich finde ‑ branchenbezogene Mindestlöhne für allgemeinverbindlich erklärt und damit in vielen Branchen den Wettbewerb sinnvoll geregelt. Aber es gibt noch viele weiße Flecken in der Tariflandschaft. Deshalb ist es gut und richtig, wenn wir als Schlussstein der Ordnung der Lohnfindung in Deutschland heute den Gesetzentwurf zur Einführung eines allgemeinen Mindestlohns diskutieren, mit dem ein angemessener Mindestschutz für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sichergestellt werden kann. Der Mindestlohn soll künftig verhindern, dass der Wettbewerb über die Fähigkeit definiert wird, Löhne zu drücken. Wir erkennen damit an, dass der Arbeitsmarkt ein abgeleiteter Markt ist und anders behandelt werden muss als Märkte, die vollkommen vom Spiel von Angebot und Nachfrage geleitet werden.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das sind wir als Christdemokraten unserem Bild von Arbeit und unserem Bild des Menschen auch schuldig.

Wenn wir nun in die parlamentarischen Beratungen über den Gesetzentwurf einsteigen, so habe ich einige Wünsche dazu. Es ist nur fair, diese am Anfang der Beratungen auszusprechen. Ich will nur drei nennen:

Erstens glaube ich nicht, dass wir uns mit der vorliegenden Form der Generalunternehmerhaftung wirklich einen Gefallen tun.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Zwar ist es ja durchaus ein biblisches Motiv, Haftung bis ins sechste oder siebte Glied - das sagt einiges über die Bibelfestigkeit der Ministerin aus -, aber ich halte das in der Praxis gerade im Mittelstand für nicht wirklich hilfreich. Darüber müssen wir noch einmal intensiv nachdenken.

Zweitens finde ich die Regelung bei Praktika - Frau Kollegin Reimann, ich stimme Ihnen da vollkommen zu; die Generation Praktikum wollen wir nicht -

(Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): Richtig!)

noch nicht wirklich überzeugend. Wir nehmen zwar Pflichtpraktika von Studierenden vom Mindestlohn aus, aber häufig sind gerade in geisteswissenschaftlichen Studienfächern längere Praktika während des Studiums eine Brücke in die Beschäftigung nach dem Studium. Das sind aber in aller Regel, weil die Geisteswissenschaften keine Pflichtpraktika kennen, freiwillige Praktika. Versperren wir hier nicht Möglichkeiten, anstatt zu helfen, Brücken in den Arbeitsmarkt zu bauen? Mir fehlt im Übrigen auch eine genaue Definition des Praktikums, etwa in Abgrenzung zu einem Volontariat oder zu einem Trainee-Programm.

Ein Drittes; dies regt mich ein wenig auf. Das Gesetz soll den schönen Namen Tarifautonomiestärkungsgesetz tragen. Dann sollten wir das auch tun. Wir haben eine Mindestlohnkommission vorgesehen, die einen Vorschlag zum Mindestlohn erarbeiten soll. Nun höre ich von der BDA und dem DGB, dass man sich dieser Arbeit entziehen und einfach den Tarifindex nachgehend zum Maßstab für die Festlegung des Mindestlohns machen will. Ich finde das einigermaßen abenteuerlich.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Mir scheint, da will sich jemand die Hände in Unschuld waschen und sagen: Mit dem Mindestlohn habe ich nichts zu tun, das ist Sache der Politik. - Nein, meine Damen und Herren vom DGB und von der BDA, das ist Sache der Tarifparteien in der Kommission. Ich will schon, dass sich die Mindestlohnkommission die Arbeit macht, ihren Vorschlag genau zu begründen, sich dabei an bestimmten Kriterien ausrichtet und dann auch ausführlich berichtet; denn das hilft uns am Ende bei der Evaluation des Mindestlohns.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Es ist gerade in ersten Lesungen eines Gesetzentwurfes schon beinahe parlamentarische Folklore, auf das Struck’sche Gesetz hinzuweisen, wonach kein Gesetz den Bundestag so verlässt, wie es in ihn hineingekommen ist. Ich will das Struck’sche Gesetz heute um eine Vermutung ergänzen, dass nämlich dann, wenn beide Regierungsfraktionen der Großen Koalition konstruktiv zusammenarbeiten, das Gesetz nicht nur anders, sondern besser den Bundestag verlässt.

(Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD): Da gibt es nichts mehr, das man besser machen könnte! Alles ist gut!)

Auf eine erste empirische Überprüfung dieser Vermutung freue ich mich.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Jetzt teilen:    

Vorheriger Beitrag Nächster Beitrag