,,Anders in Fällen der bedingten Solidaritätspflichten. Hier kann sich der Einzelne selbst oder mit Hilfe anderer aus der Notlage befreien; denn sie ist nicht dauerhaft. Mehr noch: Die Legitimität der gesellschaftlichen Ressource Solidarität ist gerade davon abhängig, dass er dies auch tut, weil er es kann. Solidarität versteht sich hier als Einstehen für andere in unverschuldeten Notlagen, aber nicht als eine dauerhafte Subventionierung der Unwilligkeit, Verantwortung für sich selbst zu übernehmen."

 

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**Dr. Matthias Zimmer** (CDU/CSU):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Psalm 127 sagt bekanntlich, dass es unnütz sei, früh aufzustehen und hernach lange zu sitzen, um das Brot mit Sorgen zu essen, denn den Seinen gebe es der Herr im Schlaf. Ich fühle mich ein wenig an diesen Psalm erinnert, wenn wir ‑ nicht zum ersten Mal ‑ auf Antrag der Fraktion Die Linke die Abschaffung von Sanktionen in der Welt der Sozialgesetzgebung debattieren. Ich will an einigen Punkten deutlich machen, warum die biblische Verheißung und die Solidarität in unserer Gesellschaft zwei verschiedene Dinge sind, in der Hoffnung - denn diese stirbt bekanntlich zuletzt -, dass die ganze Debatte ein wenig von der vordergründigen Perspektive der Fairness im Einzelfall auf das Grundsätzliche gestellt werden kann und am Ende die Kolleginnen und Kollegen der Fraktion, die sich des Themas immer wieder annehmen, das Irrige ihrer Argumentation einzusehen in der Lage sind.

(Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Mann, jetzt nicht so poetisch! - Zurufe von der SPD: Oh!)

Von der Abschaffung der Sanktionen in der Sozialgesetzgebung, meine Damen und Herren, ist es ein kaum noch wahrnehmbarer Schritt zum bedingungslosen Grundeinkommen. Ich habe sehr wohl wahrgenommen, dass es hierüber in der Fraktion der Linken wie auch bei den Grünen sehr unterschiedliche Auffassungen gibt. Aber ein sanktionsfreies Regime in der Sozialgesetzgebung ist ein bereits auf niedrigem Niveau installiertes Grundeinkommen, das an keine erzwingbaren Bedingungen mehr geknüpft ist. Hiergegen habe ich drei grundsätzliche Einwände.

Der erste Einwand ist, dass wir durch ein solches System, die Bedingungen von Solidarität selbst untergraben. Solidarität ist ein Sozialprinzip der gesamtschuldnerischen Haftung. Es ist aus dem römischen Privatrecht entlehnt und in der französischen Revolution dann zu einem politischen Prinzip der Gesellschaftsgestaltung umgedeutet worden. Mit anderen Worten: Wir kennen in der Gesellschaft, im Sozialverband das solidarische Eintreten für den Einzelnen, wenn er in Not gerät. Wir kennen hier unbedingte und bedingte Solidaritätspflichten.

Unbedingte Solidaritätspflichten sind solche, die nicht auf Gegenseitigkeit beruhen oder beruhen können. Der Mensch, der sich in einer solchen Lage befindet, kann sich aus eigener Kraft und auch mit Hilfe anderer daraus nicht mehr befreien. Er bedarf der dauerhaften Hilfestellung.

Anders in Fällen der bedingten Solidaritätspflichten. Hier kann sich der Einzelne selbst oder mit Hilfe anderer aus der Notlage befreien; denn sie ist nicht dauerhaft. Mehr noch: Die Legitimität der gesellschaftlichen Ressource Solidarität ist gerade davon abhängig, dass er dies auch tut, weil er es kann. Solidarität versteht sich hier als Einstehen für andere in unverschuldeten Notlagen, aber nicht als eine dauerhafte Subventionierung der Unwilligkeit, Verantwortung für sich selbst zu übernehmen.

Mein zweiter Einwand ist, dass damit der Wert von Arbeit selbst diskreditiert wird. Überspitzt formuliert: Wer arbeitet, ist der Dumme; denn es ginge ja auch anders. Das ist im Übrigen auch mein Haupteinwand gegen ein bedingungsloses Grundeinkommen. Die Befürworter rechnen damit, dass sich in der Summe die Anzahl derjenigen, die durch produktive Arbeit ein solches Grundeinkommen finanzieren, nicht verändert.

(Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): Herr Kollege, es geht heute nicht um das bedingungslose Grundeinkommen!)

Ich hingegen glaube schon, dass die Anzahl derjenigen, die sich ohne Arbeit auf niedrigerem Niveau einrichten, deutlich ansteigt. Die Finanzierung eines Grundeinkommens lebt damit von Voraussetzungen, die sie selbst untergräbt. Das gilt eben auch für die Überstrapazierung der Solidarität.

(Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): Davon steht nichts im Antrag!)

Mein dritter Einwand ist, dass damit Menschen nicht mehr als selbstständig wahr- und ernstgenommen werden, sondern zum dauerhaften Objekt staatlicher Betreuung werden. Der enge Zusammenhang von Freiheit und Selbstverantwortung wird aufgelöst. Man kann Freiheit durchaus denken als dauerhafte staatliche Alimentierung, aber das ist ein Freiheitsbegriff, dem die Dimension der Selbstverantwortung fehlt. Aus meiner Sicht ‑  ich glaube, hier spreche ich auch für die Union als Ganzes ‑ verfehlt ein solcher Freiheitsbegriff den Kern der Personalität des Menschen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Er nimmt den Menschen nicht als mündig wahr. Wäre es nicht Aufgabe einer neuen Aufklärung, den Menschen an seine Mündigkeit zu erinnern und ihn aufzufordern, aus allen Formen der Unmündigkeit sich zu befreien, auch wenn diese noch so benevolent als staatliche Betreuung daherkommt?

Damit zusammen hängt ein weiteres Argument. Die Linke behauptet in ihrem Antrag, dass Sanktionen gegen die Würde des Menschen verstoßen. Wenn wir aber Freiheit und Selbstverantwortung ernst nehmen, dann müssen wir auch die Entscheidungsfreiheit des Einzelnen ernst nehmen. Wir knüpfen Sozialleistungen an Bedingungen und machen dies auch sehr deutlich; der Kollege Weiler hat in seiner Rede davon ja ausführlich gesprochen. Wenn diese Bedingungen wissentlich und willentlich nicht erfüllt werden, und zwar im Wissen um die Konsequenzen, dann ist das mitnichten ein Verstoß gegen die Würde. Es ist Ausfluss der Entscheidungsfreiheit des Einzelnen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Es verstieße, meine Damen und Herren, meines Erachtens gegen die Würde des Menschen, diese Entscheidungsfreiheit sozialtherapeutisch oder gesellschaftlich aufheben zu wollen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Hinter dem unscheinbar daherkommenden Antrag der Linken, die Sanktionen in der Sozialgesetzgebung abzuschaffen, verbirgt sich also mehr. Sie, meine Damen und Herren von den Linken, stellen damit in Wahrheit die Grundlagen unserer Wirtschafts- und Sozialordnung infrage, Sie stellen die Systemfrage.

(Katja Kipping (DIE LINKE): Das stimmt nicht! - Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): In dem Antrag bestimmt nicht!)

Nicht mehr und nicht weniger hatte ich auch von Ihnen erwartet. Im Wege der heutigen Rede wollte ich Sie wissen lassen: Wir haben es gemerkt und lehnen deshalb Ihren Antrag ab.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

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