Die CDU hat es geschafft, sich als moderne, dem gesellschaftlichen Wandel aufgeschlossene Partei immer wieder neu zu erfinden. Das sollte sie nicht aufs Spiel setzen. Jeder Wähler, den sie durch einen Ruck nach rechts gewinnt, kostet in der politischen Mitte Stimmen.

Die CDU ist seit den Wahlen 2005 im Bund Regierungspartei und stellt mit Angela Merkel die Kanzlerin. Es waren Jahre der unterschiedlichsten Krisen, aber auch extrem erfolgreiche Jahre. Das ist nicht unwesentlich der CDU zu verdanken, die es geschafft hat, sich als moderne, dem gesellschaftlichen Wandel aufgeschlossene Partei der Mitte immer wieder neu zu erfinden und zu positionieren. Und doch, in der Regierungspartei CDU spürt man eine unterschwellig schlechte Stimmung, eine Stimmung der Larmoyanz und des Überdrusses, als sei der Erfolg als Regierungspartei dadurch erkauft worden, dass man die Seele der Partei dafür verkauft habe.

Der dazugehörige Kampfbegriff lautet „Merkelianismus“. Damit wird alles bezeichnet, was angeblich nicht der Seele der CDU entspricht: Sozialdemokratisierung der CDU (schon unter Helmut Kohl ein Thema), Überhandnehmen des Sozialstaats, Staatsversagen, Kontrollverlust, Verlust des Nationalen. Anlässe gab es einige, alle komplexer, als es der gemeine Populismus wahrhaben will, viele auch der jeweiligen Koalitionsräson geschuldet.

Koalitionsräson ist eine Quelle des Missbehagens, der schnelle gesellschaftliche Wandel, der nicht zuletzt auch durch technologischen Wandel massiv beschleunigt wurde, ist eine zweite. Die liberale Idee der Entfesselung des technologischen Fortschritts, des Wachstums und der Wertschätzung von Märkten kollidiert hier mit der konservativen Idee des Bewahrens. Der Liberale höhlt die Bedingungen der Möglichkeit des Konservativen aus. Was aber die Neoliberalen in der CDU nicht davon abhält, ein enges Bündnis mit konservativen Kräften zu suchen. Beides passt nicht zusammen und verwundert auch mit Blick auf die Exportorientierung des deutschen Mittelstands, die von der Globalisierung lebt.

Welche „konservativen Wurzeln“ sind gemeint?

Ähnliches gilt für die mittlerweile populär gewordene Forderung, die CDU müsse ihre konservativen Wurzeln pflegen. Die CDU soll konservative Wurzeln haben? Schwerlich. An welche Form des Konservativismus soll denn 1945 angeknüpft worden sein? An welche in den 1950er- und 1960er-Jahren? Die erste programmatische Aussage der CDU, die diesen Begriff enthält, stammt aus 1978. Und „konservativ“ ist selbst kein Wert, sondern doch wohl eher eine Haltung zu Werten, Institutionen, zu Überkommenem und zu Kommendem. Dass mittlerweile gerade junge Menschen in der CDU das „Konservative“ bis zur Karikatur zelebrieren, scheint eher eine späte Rache an der Generation der Alt- und Spät-68er als eine gelungene Identität, die repräsentativ für eine Generation wäre.

Schließlich, auch nicht untypisch für die Gesamtlage, eine massive Stimmungsmache gegen alles Sozialstaatliche, gegen die Regulierungen der sozialen Marktwirtschaft, die die Menschen, vor allem die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, schützen sollen, immerhin die größte Wählergruppe auch der CDU. Der Staat als Anwalt der Schwachen? Dafür schwindet das Verständnis, es geht doch um Freiheit! Dass es aber im Verhältnis von Armen und Reichen die Freiheit ist, die unterdrückt, und das Gesetz, das befreit: Diese Erkenntnis von Jean Lacordaire ist dem einen oder anderen Zeitgenossen in der CDU nicht mehr präsent.

All diese Stimmungen, die diffuse Unzufriedenheit, haben ihre Projektionsfläche mit Friedrich Merz gefunden. Merz inszeniert sich als jemand, der von den Irrungen und Wirrungen der Merkel-Ära völlig unbelastet ist, bei dem die Welt noch rein und unberührt schien von den rasanten Wandlungen der Gesellschaft und der überdies mit der optimistischen Unverdrossenheit der frühen 2000er die Segnungen neoliberaler Politik predigt.

Dabei geht es vordergründig um den Versuch, Wähler des rechten Rands wieder für die Union zu gewinnen, im Glauben, dies seien alles enttäuschte Unionswähler. Allerdings: Jeder Wähler, den die CDU durch einen Ruck nach rechts gewinnt, kostet in der politischen Mitte ein Vielfaches an Wählern. Das haben die Wahlen am 14. März gezeigt. Längst schon ist die deutsche Tea-Party-Bewegung in die CDU hineingeschwappt. Vor allem die sogenannte Werteunion ist nichts anderes als ein U-Boot der AfD. Man kann mit Sicherheit annehmen, dass diese längst mit der AfD im Gespräch ist, um Schnittmengen auszuloten.

Die CDU erlebt augenblicklich die Verlockungen rechter Politik. Mit der Wahl von Armin Laschet
zum Parteivorsitzenden ist die Situation vorläufig befriedet. Strategisch kommt es darauf an, die Brandmauer gegen rechts zu halten und gleichzeitig die Regierungsfähigkeit der CDU zu erhalten, um das Land vor einer linken Mehrheit zu schützen. Das aber erfordert immer wieder den politischen Kompromiss und weniger die Schönheit reiner Lehre. Die können sich nur Oppositionsparteien leisten. Was die reine Lehre ist, ist in der CDU zudem strittig. Eine Volkspartei hat viele Facetten. Die rechte Versuchung wäre aber ein Abschied von der Volkspartei CDU. Es kommt jetzt auf den Parteivorsitzenden an, dieser Versuchung aktiv zu widerstehen. Es steht dabei mehr auf dem Spiel als der Status der CDU als Volkspartei.

Der Artikel wurde veröffentlicht am 22. März 2021 unter: https://www.welt.de/debatte/kommentare/article228833083/Gastbeitrag-Die-CDU-muss-der-rechten-Versuchung-widerstehen.html?

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