„Mit unter 7% der Weltbevölkerung, hoher Exportabhängigkeit und geografischer Exposition zu autokratischen und aggressiven Regimen im Osten und Südosten ist die EU auf eine handlungsfähige Führung angewiesen. Neben der Aussöhnung der eigenen Völker nach zwei vernichtenden Weltkriegen ist dies das zweite Rational für die Errichtung der Europäischen Union seit Anbeginn. Verstärkt hat den Wunsch nach europäischer Verzahnung zudem die mit dem Fall des Eisernen Vorhangs unerwartet möglich gewordene deutsche Wiedervereinigung, die ohne die Währungsunion und Aufgabe der D-Mark zugunsten des Euro nicht denkbar gewesen wäre. Entsprechend sind die europäischen Verträge weiter entwickelt worden, neue Mitglieder aufgenommen und auch die Stellung des Europäischen Parlaments gestärkt worden.

Das Spitzenkandidatenprinzip ist jedoch bislang nicht Teil des institutionellen Gefüges der EU. Über den Vorschlag zum Präsidenten der Kommission entscheiden - in Abstimmung mit dem EU-Parlament - die Staats-und Regierungschefs, sämtlich demokratisch legitimiert wie das institutionelle Gefüge der EU auch. Wer jetzt Verrat ruft, verrät das wichtigste Grundprinzip Europas - den Rechtsstaat! Hinter ihm treten politische Willensbildung und Versprechungen, wie gut gemeint und begründet auch immer, zurück.

Der Rat hat dem EP gemäß den Verträgen ein Angebot gemacht. Der Vorschlag wird von allen Mitgliedern getragen, nur die Bundeskanzlerin hat sich - ebenfalls vertragstreu - entsprechend den deutschen Koalitionsvereinbarungen enthalten.

Merkt die SPD denn nicht, was ihr kindisches, irrationales Beharren auf gescheiterten politischen Bemühungen im Vorfeld aufs Spiel setzt? Das fortgesetzte Funktionieren der europäischen Institutionen ist das höchste Gut unserer Gemeinschaft. Leichtfertig zu riskieren, dass es trotz des einmütigen Ratsvorschlags einer Kandidatin mit Ursula von der Leyens Einstellung und Erfahrung und Respekt in ganz Europa zu einer Blockade zwischen Rat und Parlament oder auch nur zu einer längeren Hängepartie kommt, ist geschichtsvergessen und verantwortungslos.

Liebe Katharina Barley, Udo Bullmann und SPD-Kollegen in Straßburg, kommt endlich zur Vernunft! Mehr Demokratie wagen, ist eine wunderbare Forderung, sie passt aber nicht auf jede Situation! Europa muss handlungsfähig bleiben und die drängenden Probleme lösen - für Innovation, freien Handel, geordnete Zuwanderung, Klimaschutz. Dafür

braucht es eure Stimmen! Und schließlich: Der Kanzlerin ist es wieder einmal gelungen, einen Ausgleich zwischen widerstreitenden europäischen Interessen herbeizuführen. Das Wesen der Gemeinschaft ist der gute Kompromiss! Gerade wir Deutschen und auch die SPD sollten wissen: Europa wird nicht gegen Polen, Ungarn und Italien gemacht, sondern nur mit ihnen-; so viel staatspolitisches Verständnis muss sein!“

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