Berlin/Frankfurt am Main, 02. Mai 2018. Kaisersaal, 30. April: Der Oberbürgermeister hat zum traditionellen „Mahl der Arbeit“ eingeladen. Es ist eine Veranstaltung für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer: Der gewerkschaftlich organisierten, der Betriebs- und Personalräte. Schon vor Beginn der Veranstaltung eine erste Irritation: Die Fahne des DGB wird von Balkon des Kaisersaals aus gehisst. Nun bin ich selbst Mitglied einer DGB-Gewerkschaft, weiß aber: Nicht alle organisierten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind es. Es gibt Gewerkschaften außerhalb des DGB — etwa den Bund deutscher Kriminalbeamter oder die Christlichen Gewerkschaften. Sollen die hier ausgeschlossen werden? Sind die nicht willkommen?

Es kommt schlimmer. Der Oberbürgermeister kündet an: Am Ende der Veranstaltung werde die Internationale gesungen. Wer nicht textsicher sei, könne den Text ja auf dem Handy googeln. Später wird mir ein Freund sagen: Wer im real existierenden Sozialismus nicht mitgesungen hat, konnte sich im Gefängnis wiederfinden. Ich wusste das nicht und nehme an: Der Oberbürgermeister auch nicht. Aber: Die Internationale auf einer Veranstaltung der Stadt Frankfurt? Hier habe ich Einwände. Die Internationale ist ein Kampflied der sozialistischen Arbeiterbewegung. Nicht alle, die im DGB organisiert sind, entstammen aber dieser Tradition. Es gibt christliche Gewerkschafter (zu denen ich mich zähle), Grüne, die in den Gewerkschaften tätig sind, aber auch Menschen, die der Politik eher fern stehen. Soll hier ein Alleinvertretungsanspruch der Sozialisten im DGB und für den DGB postuliert werden? Und warum macht sich die Stadt Frankfurt zum Handlanger einer solchen Aktion? Nichts dagegen, wenn die Internationale in den sozialistischen Bruderschaften des Klassenkampfs gesungen wird, aber auf einem Empfang der Stadt Frankfurt?

Mehr noch: Die Internationale war bis 1943 offizielle Hymne der Sowjetunion. Unter den Klängen dieser Hymne wurden Christen, Dissidenten, Oppositionelle diskriminiert, verfolgt und erschossen. Sie im stolzen Kaisersaal zu spielen, ist nicht nur eine Geschmacklosigkeit, es verhöhnt alle Opfer des Sozialismus. Das war dem Oberbürgermeister sicher bewusst. Und trotzdem hat er sich dafür entschieden, das Leid der Opfer zu ignorieren; es sind ja nur Opfer des Sozialismus. Nein, wer so ausgrenzt; wer die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auf die sozialistische Tradition im DGB reduziert; der hat ein Problem mit Pluralismus und Vielfalt. Der Verrat an Pluralismus und Vielfalt aber führt in den Totalitarismus. Insofern war das Mahl der Arbeit eine Lehrstunde – für Intoleranz, Ausgrenzung und die Gefährdungen der Demokratie von links.

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